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Bau-Kunst: Architektur in Tirol

Zwischen Avantgarde, Tradition und neuer Achtsamkeit: Tirols Architektur ist so markant wie seine schroffen Berge und so eigenwillig wie seine Menschen. Man beweist seit jeher Mut zu Neuem, ist sich seines kulturellen Erbes aber sehr wohl bewusst.

23. Juli 2024


Die Bergiselschanze von Zaha Hadid – im Sprungturm befindet sich ein Panoramacafé samt Terrasse. © beigestellt

Eine Faszination für Berggipfel ist bei der 2016 verstorbenen britisch-irakischen Architektin Zaha Hadid nicht wirklich überraschend. Ihre futuristischen Gebäude sehen ohnehin oft wie Ufos aus, die nur Zwischenstation auf unserem Planeten machen. Warum also nicht in den Alpen landen? Südtirol hat von ihr das Messner Mountain Museum, das sich tief in den Berg gräbt; mit der geschwungenen Hungerburgbahn, die Innsbruck mit der Bergwelt verbindet, sowie der Bergiselschanze hat sie auch in Tirol zwei wichtige Landmarken geschaffen. 2002 eröffnete der Sprungturm, in dem sich heute ein Panoramacafé samt Terrasse mit atemberaubendem Blick befindet. Hadid bewies in Tirol, dass Architektur sich perfekt der schroffen lokalen Landschaft anpassen kann, aber zugleich auch internationale Strahlkraft entwickelt.

Alpenhäuser auf der Oberstalleralm in Osttirol, die auch ein beliebtes Wandergebiet ist. © Matjaz Corel / Alamy Stock Photo

Funktionalität und Zweckmäßigkeit standen seit jeher im Zen­trum des Tiroler Bauens. Bei den traditionellen Alpenhöfen mit ihren kunstvoll geschnitzten Holzbalkonen, die oft üppige Blumenpracht tragen, sieht man das allerdings nicht sofort. Sie weisen meist ein gemauertes Erdgeschoss und Holzüberbauten, die wunderschön altern, auf. Die Balkone dienten zum Aufhängen der Wäsche, zum Trocknen von Kräutern, alles hatte seine Ordnung. Die Höfe boten Wohn- und Wirtschaftsräume, die das Überleben der Familien sicherten.

Tiroler Moderne

Herzstück im Garten der Swarovski Kristallwelten: die Kristallwolken von Andy Cao und Xavier Perrot. © Little valleys / Alamy Stock Photo

In den 1920er- und 1930er-Jahren dockten Tiroler Architekten wie Clemens Holzmeister oder Lois Welzenbacher an internationale Strömungen wie die Neue Sachlichkeit an. Als Vertreter der Tiroler Moderne setzten sie auf Bauten, die möglichst schmucklos sein sollten. Zwischen Einfachheit und Expressionismus positionieren sich die Sakralbauten eines Clemens Holzmeister, der in Tirol auch viele Hotels gebaut hat, etwa das „Hotel Post“ in St. Anton mit seinem das Ortsbild prägenden Pyramidendach oder das Hotel „Drei Zinnen“ in Sexten. Verwendet wurden Baustoffe aus der Umgebung – nachhaltiges Bauen war in einer Region, die von harten Wintern und Selbstversorgerbauernhöfen geprägt ist, fast schon eine Selbstverständlichkeit. „Bewusst gestalten. Werte schaffen. Zukunft bauen“: Der Leitspruch des jungen Innsbrucker Kollektivs Snow Architektur denkt traditionelle Werte und Bauweisen in die Zukunft weiter. Klarheit, Transparenz und Leichtigkeit zeichnen viele Tiroler Neubauten aus, Holz ist wieder ein zentrales Thema.

Schwarzer Diamant

Das Festspielhaus Erl wirkt außen wie ein schwarzer Diamant; der Konzertsaal ist mit Holz ausgekleidet. ©  Brigida González

Tirol investiert viel in innovative Kultur – auch bei der Architektur macht man keine Kompromisse. Bauten sind schließlich dazu da, dass man über sie spricht, dass man sich zu ihnen in Beziehung setzt. So wirkt das Festspielhaus Erl des Wiener Architekturbüros Delugan Meissl Associated Architects wie ein schwarzer Diamant, der in kreativer Spannung zum weißen Passionsspielhaus steht. Dieser spannende Dialog mit der Landschaft und den Gebäuden, die bereits vorhanden sind, unterscheidet ­geglückte von oberflächlicher Architektur, die überall stehen könnte und nichts erzählt.

Im Kontrast zum Konzertsaal des Festspielhaus Erl erstrahlt das Foyer in weiß.© Cornelia Hoschek

Auch das 2018 eröffnete Haus der Musik in Innsbruck, entworfen von Erich Strolz, realisiert in Zusammenarbeit mit Dietrich Untertrifaller Architekten aus Bregenz, hat anfangs für Diskussionen gesorgt. Aufgrund der dunklen Keramik­lamellen der Fassade wurde es die „Kaaba von Innsbruck“ genannt. Strolz aber wollte bewusst nicht ein helles Gebäude entwerfen, weil ohnehin die meisten Museen und Theaterhäuser so sind. Stattdessen sollten die hochwertigen, beweglichen Lamellen die Umgebung reflektieren. Die Keramikhülle selbst schimmert je nach Lichtverhältnissen rötlich-bräunlich bis auberginefarben, die dunkle Außenseite steht in Kontrast zum hellen Innenraum.

Die Keramikhülle am Haus der Musik in Innsbruck schimmert je nach Lichtverhältnissen rötlich-bräunlich bis auberginefarben. © Guenther Egger

In Tirol prägt die Natur das Bauen, ob in traditioneller Holzbauweise oder mit modernen Ansätzen, die sich der Schroffheit der Landschaft annehmen. Ein eindringliches Beispiel ist die Granat­kapelle am Penkenjoch – der aus dem Schweizer Tessin stammende Architekt Mario Botta hat sich von der Form des Granatsteins, der hier abgebaut wurde, sowie vom Holz aus der Region inspirieren lassen. Der Granat wurde traditionell in Form eines Rhomben­dodekaeders geschliffen und zur Tracht getragen. Die Art und Weise, in der die Kapelle auf einem Felsvorsprung über dem Tal thront, hat etwas Unwirkliches.

© norbert-freudenthaler.com

Der Innenraum ist mit Lärchenholz ausgekleidet, durch eine Öffnung in der Decke strömt natürliches Licht. Zu besichtigen ist die Kapelle nur in den Sommermonaten, Fotos von ihr in verschneiter Winterlandschaft lassen sie allerdings noch mehr wie ein Raumschiff aussehen. Ganz so wie die kühnen Bauten von Zaha Hadid, die noch Jahre nach ihrem Entstehen wie aus der Zukunft herbeigebeamt wirken. Die beeindruckende Bergwelt von Tirol ist ein idealer Platz, um sie strahlen zu lassen. Als Mensch fühlt man sich hier ohnehin klein und unbedeutend – was erhebend sein kann.

 

Die Granatkapelle am Penkenjoch hat die Form eines Rhombendodekaeders, der früher zur Tracht getragen wurde. © Credit: Allan Hartley / Alamy Stock Photo

Mehr lesen: Designhotels in Tirol: Dezente Eleganz

Dieser Artikel erschien in der Falstaff TRAVEL Ausgabe Tirol Spezial 2024.

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