Tennis-Star Jannik Sinner über Erfolg und seine Heimat Südtirol
Nicht nur Südtirol ist hingerissen von Jannik Sinner : Der 23-Jährige hat die ganze Tenniswelt und die Herzen der Fans im Sturm erobert. Wer ist dieses Wunderkind aus den Bergen?
28. Oktober 2024
Es war ein veritabler Tennis-Thriller, der sich vor den Augen des Publikums im Halbfinale der French Open 2024 abspielte: Fünf lange Sätze kämpften Jannik Sinner und Carlos Alcaraz darum, wer ins Finale dieses prestigeträchtigen Grand-Slam-Turniers einziehen darf. Am Ende siegte der Spanier gegen den Südtiroler und durfte sich kurz darauf in Paris auch zum Gesamtgewinner krönen.
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Wie geht Sinner damit um? Pragmatisch: „Noch wichtiger als der Erfolg ist, dass man weiterarbeitet und die Fehler analysiert“, sagt er – wohl auch in dem Wissen, dass Alcaraz’ Triumph nichts an der Tatsache ändert, dass er die Tennis-Weltrangliste mit respektablem Punkteabstand anführt, und das mit erst 23 Jahren. „Die Nummer eins vor deinem Namen zu sehen ist super“, betonte der Südtiroler schon nach seinem Halbfinaleinzug bei den French Open, „das bedeutet mir natürlich sehr viel.“ Noch größere Bedeutung hat es für Italien: Noch nie in der Geschichte konnte sich einer seiner Landsleute zur Nummer eins der Tenniswelt krönen. Er sei der „Champion, auf den Italien fast ein halbes Jahrhundert gewartet“ habe, schwärmte der „Corriere della Sera“, der dem Südtiroler ob seiner Haarpracht den Spitznamen „Roter Baron“ verpasste.
Liebe auf den Zweiten Blick
Dabei war Sinners Weg zum Tennisprofi alles andere als vorgezeichnet – denn dem am 16. August 2001 geborenen Jannik schien zunächst das Skifahren in die Wiege gelegt worden zu sein. Seine Eltern, ein Koch und eine Kellnerin, betreiben in Sexten, im äußersten Nordosten Südtirols, eine Pension. Dort, in den Dolomiten, stand Klein-Jannik das erste Mal auf Skiern – so, wie es sich eben für einen Südtiroler Buben gehört, wie er selbst auch immer wieder betont.
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Erste Erfolge ließen nicht lange auf sich warten: Mit sieben Jahren wurde Sinner italienischer Meister im Riesenslalom, 2012 Vizemeister. Quasi als Sommerbeschäftigung begann er, Tennis zu spielen, ohne großen Spaß an der Sache. Dass er dabei geblieben ist, hat die Welt seinem Vater Hanspeter zu verdanken. Der ermutigte Jannik, es noch einmal zu versuchen, und siehe da: Plötzlich fand der Bub Gefallen an der Sportart.
„Ich habe mich für Tennis entschieden, da es ein Spiel ist, das im Wettkampf länger als nur eine oder anderthalb Minuten dauert“, gab er einmal zu Protokoll, „das hat mich gereizt.“ Er begann seine Profiausbildung im ligurischen Bordighera beim renommierten Tenniscoach Riccardo Piatti, einst Jugendtrainer von Novak Djokovic. Dabei galt Sinner in seinen Teenagerjahren nicht unbedingt als top-talentiert: Bei den ersten Turnieren blieben die Erfolge aus, zu groß war sein Rückstand gegenüber Gleichaltrigen, die schon in jüngeren Jahren mit regelmäßigem Training begonnen hatten. Möglicherweise hat Sinner das umso mehr angespornt: Er arbeitete hart, investierte viel Zeit und ebnete sich so den Weg an die Spitze.
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Der begann 2020, als er seinen ersten ATP-Titel in Sofia gewann. 2021 triumphierte er dort neuerlich, und auch in Adelaide, Washington und Antwerpen. 2022 durfte er nur in Umag den Pokal stemmen, 2023 folgte mit Montreal der erste Gewinn bei einem Masters-1000-Turnier; zudem war er in Montpellier, Peking und auch in der Wiener Stadthalle erfolgreich. 2024 wird vorerst als großes Highlight-Jahr in Sinners Geschichte eingehen: Bei den Australian Open war er erstmals bei einem Major nicht zu schlagen, in Miami gab es einen weiteren Titel, ebenso in Rotterdam. Nur in Paris hat es heuer nicht ganz geklappt.
Fest steht, dass es wohl nicht das letzte Duell zwischen ihm und Alcaraz gewesen sein wird: Beide sind etwa gleich alt und gelten als jene Profis, die den Tennissport in den nächsten Jahren dominieren werden. „Sinner ist ein aufregender Spieler, er ist gleich gefährlich auf der Vor- und der Rückhand und sowohl offensiv als auch defensiv stark. Wir werden immer mehr von ihm hören“ – das sagt Roger Federer, eines der großen Vorbilder des Südtirolers. Andere loben seine mentale Stärke und die Reife, die er zeigt; er sei ein Musterbeispiel dafür, was mit kluger Planung, Akribie und seriöser Arbeit – neben ganz viel Talent – möglich ist, sind sich andere Kommentatoren einig.
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Dabei ist Jannik Sinner immer noch ein „ziemlich normaler Bursche“ geblieben, wie er gerne betont. Man nimmt es dem jungen Südtiroler gerne ab, ebenso wie seine Bodenständigkeit und Heimatverbundenheit. Immer wieder zieht es Sinner nach Sexten zurück: „Ich bin sehr froh, wieder hier zu sein, an dem Ort, an dem ich geboren bin, an dem ich meine Jugend verbracht habe und an dem meine Familie und meine Freunde sind“, sagte Sinner bei einem Empfang, der ihm in seiner Heimatgemeinde nach dem Turnier in Paris bereitet wurde.
In seiner Freizeit geht der Südtiroler wandern und steht immer noch gern auf Skiern. Klugerweise hält er sich von Social Media fern und gibt auch von seinem Privatleben kaum etwas preis. Nur so viel hat er einmal verraten: Er isst am liebsten Wiener Schnitzel.
Dieser Artikel erschien in der Falstaff TRAVEL Ausgabe Südtirol Spezial 2024.