Rockwells Welt
David Rockwell zählt zu den produktivsten und umtriebigsten Architekten der Welt, Der New Yorker entwirft Hotels, Restaurants und Musicalbühnen. Sein Credo: Jedes Gebäude muss ein Showstopper für die Ewigkeit sein.
17. Januar 2025
Der Musiker Elvis Costello soll einmal den schönen Satz gesagt haben: „Über Musik zu schreiben ist wie zu Architektur zu tanzen.“ Der hiermit unterstellten Unmöglichkeit dieses Unterfangens, würde der Architekt und Designer David Rockwell in Teilen widersprechen. In seinen Büroräumen am New Yorker Union Square hat der 68-jährige US-Amerikaner einen schalldichten Raum mit einem Steinway-Klavier und einem alten Eames-Lounge-Chair von Herman Miller installieren lassen. Er hält sich gern in diesem Refugium auf, um allein oder in Begleitung auf dem Piano zu spielen. Rockwell ist nämlich überzeugt, dass Musik und Architektur sehr wohl etwas miteinander zu tun haben. Erst über das Spielen des Instruments als Junge kamen jene kreativen Impulse, die später für Design und Häuserbau aktiviert wurden. Und vielleicht zu dem einen oder anderen Freudentanz nach einem gelungenen Projekt führten.
Oft verwendet Rockwell in seinen Entwürfen elegant geschwungene Treppen – wie hier im jüngst eröffneten Raffles-Hotel in Boston. © Brandon Barré Photography
Rockwell ist bei Weitem kein Purist. Er entwirft, was ihn halbwegs interessiert – und da sein Spektrum Musicals, Theater, Reisen, Ausgehen und Wohnen umfasst, hat er eine beinahe orgiastische Output-Palette vorzuweisen. Die Rockwell-Gruppe entwarf bisher mehr als 500 Restaurants, darunter die der Nobu-Gruppe und Gordon Ramsays „Maze“ in London, sie erdachte 125 Hotels wie das „New York Edition“ oder das neue „Raffles“ in Boston, 30 Bühnenbilder (von der „Rocky Horror Picture Show“ bis zur Oscar-Verleihung), das neue United Terminal am Flughafen Newark, den Miami-Ableger der Fotografiska-Museen und war an der Gestaltung des „Shed“ beteiligt, eines multifunktionalen Art Centers in New York, das an ein gläsernes Gürteltier erinnert.
Vor drei Jahren gestaltete die Gruppe das "Fairmont Royal York" in Toronto neu. © beigestellt
Was haben alle diese disparat wirkenden Projekte gemeinsam? David Rockwell sucht dabei das Publikum als Resonanzboden: „Im Theater muss man die Zuschauer verführen, und das muss man auch bei der Architektur tun“, sagt er. Ohne den Menschen verpufft Architektur, sie wird zum festgefrorenen Standbild.
Schaffen für die Ewigkeit
Rockwell weiß, wie man mit Leuchtmitteln Stimmung erzeugt: Zen-Ruhe im "Kimpton Shinjuku". © Axel Dupeux/Redux/laif
Er braucht die menschliche Komponente – im Gegensatz zu manchen Kollegen, die ihre Gestaltungsideen am liebsten ohne lästige Personen erleben würden. Ein Hotel ohne Gäste? Eine Show vor leerem Haus? Für Rockwell nutzlos wie eine Alessi-Zitronenpresse für einen einhändigen Mann. Er fragt sich stets, wie sich ein Raum verändert, wenn sich Menschen darin bewegen; und wie sie sich dabei fühlen. Hospitality bedeutet für ihn Empathie. „Es geht um die magnetische Kraft, einen Ort zu schaffen, an dem Menschen Zeit miteinander verbringen wollen“, so sein Credo.
In seinem New Yorker Büro inspirieren Bücher, Zeichnungen und Skizzen den Designer. © Axel Dupeux/Redux/laif
Rockwell ist ein Architekt, der seinem Grundsatz nach ständig in Bewegung bleibt. Deshalb ist er der Einzige seiner Sparte, der einen Tony Award und zwei Emmys gewonnen hat. In seiner Arbeit spielt diese Dualität eine Hauptrolle – der Gegensatz von permanenter Architektur und zeitlich begrenzten Theaterräumen. „Vielleicht, weil ich mir immer bewusst war, dass das Leben nicht ewig dauert, weiß ich, wie wichtig es ist, Momente der Verbundenheit und des Feierns zu haben“, hat er einmal gesagt. „Das sind die beiden Gegensätze: die Schaffung von Gebäuden, die ewig halten – und die Schaffung von Momenten, die ewig dauern sollten.“
Für Gastronomie und Hotels kreiert er solche Räume der Unvergänglichkeit, die bestimmte Ähnlichkeiten haben. Die gewundene Treppe im „Raffles Boston“ etwa erinnert an die beinahe frei schwebende im „New York Edition“ oder die hölzerne Wendeltreppe im „Nobu Barcelona“. Seine Kreationen sind „Erinnerungsräume, die auf unterschiedliche Weise aktiviert werden können, mit leuchtenden Farben oder mit begrünten Wänden“, urteilte die spanische Zeitung El Pais. Oder mit in Szene gesetzten Stufen, könnte man ergänzen. Beruhigende Strukturen, an denen die Menschen vorbeikommen und sich fühlen, als wären sie schon ihr ganzes Leben lang dort gewesen.
Rockwell glaubt an die Einbindung von Naturelementen: Den Pool des "Raffles Boston" verschönern Sonnenlicht und Topfpflanzen. © Brandon Barré Photography
Was man täglich sieht, inspiriert einen unbewusst. Mit dieser Beiläufigkeit begann auch Rockwells Berufung: Es waren öffentliche Räume, die den Jungen zuerst interessierten. Als Teenager lebte er mit seinen Eltern in Mexiko; die Märkte, Stierkampfarenen und Plätze von Guadalajara faszinierten ihn. „Die Farben, die Qualität des Lichts und das Bewegungsgefühl waren starke Einflüsse“, schilderte er einmal. So beschloss er, Architektur zu studieren.
Das "Nobu-Downtown" in New York. © www.hubertkang.com
Dem richtig gesetzten Licht maß er von Anfang an eine enorme Bedeutung bei – mit Spotlights betont er bis heute Raumelemente wie auf einer Bühne. Kein Wunder: Während seines Studiums nahm er sich ein Semester frei, um am Broadway für einen Lichtdesigner zu arbeiten. „Ich habe sofort verstanden, wie die Beleuchtung die Stimmung bestimmt“, sagt Rockwell im Rückblick; wie anders das Essen wirkt, wie anders die Showküche oder die Rezeption wirken, wenn sie akzentuiert werden. Und er hat diese Erkenntnis fundamental in seinen Arbeitsprozess integriert.
Präsentation im "Kimpton Shinjuku" in Tokio. © Eric Laignel
Natürlich kann er – schon aus Zeitgründen – nicht alles selbst in die Hand nehmen. Rockwell ist ein Multitasker für Raumkonzeptionen. Ihm helfen 330 Angestellte in seiner Firma, die gerade 40-jähriges Bestehen feierte und Ableger in Los Angeles und Madrid hat. Ein Ende dieses Gestaltungsmarathons ist nicht abzusehen – David Rockwells Œuvre wird jedenfalls immer ein vielstimmiges Konzert des Städtebaus sein.
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Dieser Artikel erschien in der Falstaff TRAVEL Ausgabe Winter 2024/25.