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Reiz der Kälte

Süchtig nach dem Extremen: Helsinki in Patagonien, Huskytouren in Finnland, Schlafen im Iglu oder Abtauchen in einen eiskalten Gletschersee. Was treibt uns an, bei klirrender Kälte unsere Komfortzone zu verlassen?

5. Januar 2022


Alles spricht dagegen, sich jetzt auszuziehen und an etwas hier so Absurdes wie Schwimmen zu denken. Vor uns: ein glasklarer Gletschersee. Frischer Schnee liegt am Ufer; klirrende Kälte um uns, und eine nicht gerade einladende Wassertemperatur von 1,6 Grad. Körper und Kopf sagen beide Nein. „Einfach nicht lange nachdenken, ausziehen und ins Wasser“, sagt unser Guide, der uns an diesem Morgen den ultimativen Kältekick verpassen möchte. Eisschwimmen liegt im Trend – es soll die Abwehrkräfte stärken und süchtig machen, wenn man sich erst einmal überwunden hat. Die ersten Schritte ins eisige Nass sind ein Schock. Die Kälte schnürt einem die Luft ab, sie hämmert auf die Haut wie Nadelstiche. „Ruhig in den Bauch atmen“, sagt unser Lehrer, der jahrelange Erfahrung mit dem Baden im Winter hat: „Langsam anfangen, und genau wahrnehmen, wie der Körper reagiert.“ Eisschwimmen ist ein Extremsport – allein sollte man ihn nie ausüben. Und man sollte sich unbedingt vorher vom Arzt untersuchen lassen, ob man fit genug und ob mit dem Herz-Kreislauf-System alles in Ordnung ist.

Allein im See

Nach ein paar Zügen ist die Kälte nicht mehr so schlimm, und ein großes Gefühl von Freiheit stellt sich ein. Eisschollen treiben auf dem Wasser an uns vorbei und erzeugen einen sphärischen Sound. „Passt auf, dass ihr euch nicht an ihnen schneidet“, sagt unser Guide, der wie wir übers ganze Gesicht strahlt. Der Körper stößt Unmengen von Adrenalin aus, Euphorie stellt sich ein; pures Glück, ganz im Moment zu sein. Es ist überirdisch schön, wie die Sonne am Wasser glitzert. Ein absolut exklusives Badegefühl, so allein im See. Was treibt uns eigentlich an, unsere Komfortzone zu verlassen? Nicht gemütlich wie alle anderen in der Therme abzuschalten oder faul am Strand zu liegen? Die Antwort ist einfach: Erst durch Herausforderungen erkennen wir, was in uns steckt, was überhaupt möglich ist. Wir wagen Dinge, die wir uns nicht im Traum vorstellen hätten können, der Adrenalinkick ist unbeschreiblich. Oft muss man nämlich gar nicht abschalten, sondern einfach mal aufdrehen, um sich in jeder Faser des Körpers lebendig zu fühlen.

Eisschwimmen wird immer beliebter. ©GettyImages

 

Irgendwo im Nirgendwo 

Wer einmal Heliskiing gewagt hat, weiß, wovon die Rede ist: Meist ist die Anreise selbst bereits ein großes Abenteuer, ins Winterwunderland geht es manchmal sogar mit der Pistenraupe in eine entlegene Hütte irgendwo im Nirgendwo – und dann mit dem Hubschrauber auf die Berge, wo endlose unberührte Pisten warten. Ein mulmiges Gefühl ist es schon beim ersten Mal: Was, diese steilen Hänge soll ich runterfahren? Versinke ich da nicht im Schnee? „Selbstvertrauen ist wichtig, und mentale Stärke. Für viele Pisten reichen mittleres Können und ein bisschen Übung im Tiefschneefahren“, sagt unser Guide. Allein bei einer Sache muss er uns enttäuschen: „Aus dem Helikopter springt nur James Bond.“ Wir landen am Berggipfel, und dann geht es los ins endlose, unberührte Weiß. Den passenden Soundtrack müssen wir imaginieren – mit Kopfhörern zu fahren ist streng verboten: Die Guides müssen jederzeit zu hören sein, nicht nur, falls sich eine Lawine anbahnt. Kanada ist ein beliebtes Ziel, aber auch Island, Schweden, Georgien und Kamtschatka (in Russlands Fernem Osten) sind gute Orte fürs Heliskiing. Und nicht zu vergessen: das Himalayagebirge. Der Anbieter Eleven Experience bringt Heliskiing mit dem Traumziel Chile auf eine neue Ebene: Bei der ultimativen „Southern Hemisphere Ski Experience“, wie es in der Broschüre von Eleven Experience heißt, fliegt man an imposanten Gletschern vorbei, erlebt die atemberaubenden Anden von oben; dort, wo ewiger Winter herrscht. Patagonien bedeutet endlose Weite, die viele vor allem mit Sommer und Wandern verbinden. Die luxuriöse „Rio Palena Lodge“ liegt dort, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen – wahre Abenteuer beginnen nämlich damit, dass man in der Einöde landet. Der Reiz des Extremen führt in Landschaften, die einem den Atem stocken lassen. Das ultimative Ziel: Man fühlt sich ganz winzig inmitten der gigantischen Berg- und Schneewelten. Reisen wie diese sind nämlich auch Expeditionen ins Ich: Wie gehe ich mit Angst um? Wie lasse ich mich auf neue, überfordernde Erfahrungen ein? Wie ist es, sich den Elementen auszuliefern? Wer im Urlaub extreme Dinge macht, fährt zufrieden nach Hause – und nimmt vielleicht auch die eine oder andere Erfahrung in den Alltag oder Job mit: Zögere nicht, mach es einfach! Du schaffst das schon!

Heliskiing bringt den ultimativen Adrenalinkick und perfekte Powder-Erlebnisse. ©GettyImages

 

Hundemüde im Iglu

Nah an den Naturgewalten ist man auch bei einer mehrtägigen Huskytour. Die Kraft der Hunde, der eisige Wind im Gesicht – spätestens nach einer Stunde sind die Wimpern gefroren und man lernt, die Kälte zu lieben, wie die Hunde, die sich bei Minusgraden pudelwohl fühlen. Das Tolle an Huskytouren ist aber nicht nur die verschneite Landschaft (durch die man erstaunlich schnell mit dem Schlitten gleitet), sondern vor allem die Beziehung, die man zu den Tieren aufbaut – wenn man sie füttert, wenn man lernt, wie ein Rudel funktioniert. Herrlich, wie dann am Abend Tier und Mensch sprichwörtlich hundemüde in einen tiefen Schlaf fallen, bis es am nächsten Morgen wieder losgeht. Je einfacher die Hütte oder Übernachtungsmöglichkeit ist, desto schöner kann es sein. Wir sind ohnehin mit Luxus überfüttert und teils viel zu weich gebettet. Da ist im Urlaub weniger oft einfach mehr: Im Winter im Zelt zu übernachten oder sich in den wärmenden Schlafsack zu kuscheln hat einen speziellen Reiz – und in der Früh dann Schnee zu schmelzen, um einen kräftigen Kaffee zu brauen. So spürt man das Leben mit allen Sinnen. Survival-Training ist, ganz ohne esoterisch sein zu wollen, nicht nur ein Ego-Kick: Irgendwie ist es auch beruhigend, dass man weitgehend auf sich gestellt trotzdem überleben kann. Zumindest mit Huskys an der Leine, die in ihrem Element sind.

Endlose Weiten lassen sich mit dem Hundeschlitten erkunden. ©Emmanuel Berthier

 

Überwältigender Sternenhimmel

Außerdem erwacht das Kind in uns. Wer hat früher im Winter keinen Iglu gebaut und davon geträumt, darin zu übernachten? Mittlerweile gibt es zahlreiche Iglu-Anbieter, bei einigen muss man die Schneehöhle erst selbst bauen. Bequemer sind allerdings Hotels im hohen Norden (wo zwischen der Temperatur drinnen und draußen gut 50 Grad liegen können!), die mit Iglu-Ästhetik spielen. Am bekanntesten ist das in Lappland gelegene „Kakslauttanen Arctic Resort“ – die kuscheligen Glas-Iglus geben den Blick auf den Himmel frei, damit man mit ein bisschen Glück auch fantastische Nordlichter sehen kann. Nicht weniger spektakulär ist eine Nacht in den Pyrenäen. Der Begriff Himmelszelt bekommt dort eine ganz neue Dimension: Man fühlt sich fast schon bedrängt von den vielen Sternen, die so hell strahlen, dass man (auch vor Aufregung) kaum ein Auge zumacht. In manchen Nächten sind bis zu 60 Sternschnuppen pro Stunde zu sehen – da gehen einem relativ schnell die Wünsche aus. Besser, man legt schon daheim eine Liste an. Auf dem Berg Pic du Midi, auf einer Höhe von 2.877 Metern, steht eine fantastische alte Sternwarte, die zugleich ein Hotel ist. Nur 27 Menschen können sich zeitgleich am Berg befinden, eine überschaubare Gruppe von Abenteurern. Nach dem Abendessen und einem Cocktail machen sich die Gäste für eine lange, aufregende Nacht bereit. Doch niemand ist hierhergekommen, um früh schlafen zu gehen, obwohl die Höhenluft schnell müde macht – das Highlight findet nämlich im Dunklen statt: Ein Experte erklärt der kleinen Gruppe den Sternenhimmel, beschreibt die unzähligen Konstellationen. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Und am nächsten Morgen werden dann die gigantischen Fernrohre in der Sternwarte besichtigt. Eines verbindet all diese doch recht unterschiedlichen extremen Erfahrungen: Sie lassen sich bequem online buchen. Noch nie war es so leicht – und nicht zuletzt so sicher –, seine Komfortzone zu verlassen und rauszugehen in die Abenteuer, die man meist nur bei klirrender Kälte erleben kann. Man muss sich nur einen Ruck geben. Es zahlt sich bestimmt aus.

Good to Know

  • Nordlichter ganz nah
    Die beste Zeit, um die Aurora borealis zu sehen, ist zwischen September und März. Um die Tagundnachtgleichen sieht man sie zumeist besonders intensiv.
  • Perfekter Powder
    In der nördlichen Hemisphäre ist die beste Zeit zum Heliskiing von Januar bis April, während man z. B. in Chile und Patagonien von Juli bis Oktober perfekte Bedingungen vorfindet.
  • Winterbaden
    Eisbaden liegt im Trend – bevor man aber kopfüber in das eiskalte Nass springt, lohnt sich ein Workshop mit Experten, um die (über)lebenswichtigen Basics zu erlernen.
  • Rechtzeitige Planung
    Viele Anbieter setzen auf Qualität statt Quantität und halten Reisegruppen bewusst klein. Daher lohnt sich die rechtzeitige Planung des ultimativen Eis-Abenteuers.

Die Top-Anbieter

  • Patagonia Grand Class
    Die ultimative Heliskiing-Experience wartet: Gäste wohnen auf einer luxuriösen Yacht und werden täglich mit dem privaten Helikopter in die Berge geflogen. heliskiguides.com
  • Wildes Island
    Von ATV-Touren bis hin zum Eisklettern – hier warten Abenteuer für jeden Geschmack. icelandluxurytours.com
  • Luxus im hohen Norden
    Viertägige Hundeschlittentouren mit Übernachtungen in eleganten Chalets und Unterkünften mit Sauna und Jacuzzi zum Aufwärmen. heyhusky.com
  • Schlafen unter Nordlichtern
    Zwei Chalets inmitten der Natur Lapplands: Die „Octola Lodge“ ist die exklusivste Herberge in der Gegend und lockt mit unberührter Wildnis. octola.com

Dieser Artikel erschien in der Falstaff TRAVEL Ausgabe Winter 2021/22.

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